Deutsche Vergangenheit und polnische Gegenwart in Pommern

Tagung des PKST in Hinterpommern vom 28.04. – 02.05.2006 in Külz (Kulice)

Margrit Schlegel, PKST-Präsidentin

Im Anschluss an unsere Mitgliederversammlung, s. Bericht in der PZ-Nr. 20/06, fuhren die meisten der Vertreter der Heimatkreise gemeinsam mit einem Reisebus von Travemünde aus nach Pommern. Hier in Külz bei Naugard fand dann an drei Tagen die Fortsetzung der PKST-Jahrestagung statt, und zwar zunächst mit einem Seminartag, mit Gästen aus der näheren und weiteren Umgebung, insbesondere Bürgermeistern und Landräten, den Bezirksvorsitzenden der Deutschen Freundeskreise aus Stettin und Stolp, Studenten der Universität Stettin und Referenten aus Polen und Deutschland.
Zum sechsten Mal in Folge, also bereits seit dem Jahre 2001, führte der Pommersche Kreis- und Städtetag eine verständigungspolitische Tagung in Hinterpommern durch. Wie die PKST-Präsidentin bei ihrer Einführung in diese Tagung erwähnte, suchen wir, die ehemaligen Bewohner dieser über siebenhundert Jahre deutschen Provinz Pommern, den Kontakt zu den heutigen Bewohnern, um mit ihnen über die deutsche Vergangenheit unserer Heimat aber auch über ihre polnische Gegenwart zu sprechen, zu diskutieren und um uns auf der Grundlage der historischen Wahrheit näher zu kommen.
An Diskussionen mangelte es dann nicht, denn schon der erste Referent dieses Tages, Professor Stepinski aus Stettin, forderte mit seinen Ausführungen, die er in deutscher Sprache hielt, gerade dazu auf. Zunächst gab er seiner Freude Ausdruck, wieder einmal unter Deutschen zu sein. Nicht unerwähnt ließ er die gemeinsame Zeit der Gründung und des Aufbaues der Lehr- und Tagungsstätte Külz-Kulice, an die er sich im besonderen an das gute Einvernehmen mit Dr. Philipp von Bismarck erinnerte. Weiter ging er auf die deutschen Medien ein, denn durch die Vielfalt der Informationen durch die Presse und das Fernsehen ist es besonders den jungen Menschen diesseits und jenseits der deutsch-polnischen Grenze möglich Vorurteile abzubauen und aus Feinden Freunde werden zu lassen.
Ein Vergleich des verstorbenen polnischen Papstes, Johannes Paul II., mit dem jetzigen Papst Benedikt XVI. aus Deutschland, fällt bei ihm positiv aus, denn Professor Stepinski ist der Auffassung, dass der neue Papst auf der Linie des alten Papstes liegt und die Polen ihn lieben, auch als Deutschen.


Am Präsidiums -Tisch v. l.
Bruno Feldt, Präsidentin Margrit Schlegel, Prof. Stepinski und Wilfried Dallmann

Die Leiden beider Völker stellen, lt. Prof. Stepinski, noch immer in den deutschen und polnischen Medien, insbesondere im Fernsehen, ein Tabuthema dar. Warum sollen deutsche und polnische Vertriebene sich nicht einmal an einen Tisch setzen und miteinander offen über ihre Erlebnisse sprechen? Wir sollten sie erzählen lassen, durch das gemeinsame Gefühl etwas verloren zu haben, werden sie sich näher kommen .

Stepinski kritisierte die Deutschen, sie fahren ins westliche Ausland nur nicht zu ihrem Nachbarn Polen, denn Kontakte sollten nicht von "oben" kommen.
Junge Deutsche und Polen müssten sich besser kennen lernen. Der deutsch-polnische Dialog sei effektiver als das Gerede der Politiker. An anderer Stelle kritisierte er die Deutschen, da sie zu wenig Nationalstolz hätten bezogen auf ihre Leistungen, dagegen sei dieser bei den Polen übersteigert. Diesem Beitrag schloss sich eine lebhafte Diskussion an, die der Referent versuchte diplomatisch in versöhnliche Bahnen zu lenken, was ihm aber nicht immer gelang.
Über die Gefühle der polnischen Ansiedler in Pommern in den Jahren 1945-1948 im Spiegel aktueller Forschung referierte Dr. Jan Machalak. Er gab zu Beginn zu bedenken, dass die Erinnerungen nach sechzig Jahren mit Mängeln behaftet sind. In der polnischen Geschichtsschreibung handelt es sich hier um die Pionierzeit. Im Mai 1945 kamen viele Deutsche zurück. Die ersten polnischen Ansiedler hatten zu ihnen eine besonders negative Einstellung. In Polen blieb eine Gruppe der Roten Armee, die den Deutschen eine bessere Lebensweise ermöglichte, die Polen hingegen benachteiligte. Im Juni 1945 wurden etwa 250.000 Deutsche aus Pommern vertrieben. Somit entstand ein Fehlbedarf an Menschen, die arbeiten konnten, denn nur Fachleute blieben zurück. Es fehlte dem polnischen Staat an Kontinuität. Die Friedenskonferenz wurde in Aussicht gestellt. Groß war die Unsicherheit bei den polnischen Neuansiedlern. Flugblätter warnten vor dem 3. Weltkrieg. Die Stimmung: "Man saß auf gepackten Koffern". Es wurde nicht investiert.
Die polnische katholische Kirche nahm Einfluss auf die Stimmungslage der Ansiedler. Sie sprach von "Rückkehr", da die katholische Kirche zurückgekehrt war. Sie siedelte Priester an. Allmählich entstanden ab 1954 neue Gebäude. Man sprach vom neuen Teil Polens, also von Westpolen, vom "gelobten Land". Als Chruschtschow im Jahre 1959 mit seinem Besuch in Stettin ersten Kontakt mit Polen aufnahm und verkündete "Stettin bleibt für immer polnisch", begann der eigentliche Aufschwung.
Westpolen, also die ehemals deutschen Gebiete, stellen ein Drittel des polnischen Staatsgebietes dar. Polen hat damit ein Vielfaches mehr bekommen, als es im Osten verloren hat.
Seit der politischen Wende werden die Jahrestage der "Befreiung" der Städte und Gemeinden in Polen nicht mehr festlich begangen.
In der darauffolgenden Diskussion wurde u.a. die Frage an den Referenten gestellt, wie es zur Umbenennung der Ortsnamen gekommen ist. Sie wurden zu einem Teil im Jahre 1946 in einer Konferenz beschlossen, teils durch Übersetzung der deutschen Bezeichnungen, zum anderen waren bereits 1939 die Namensänderungen bis zur Oder und Neiße von polnischer Seite festgelegt worden.
Über das deutsch-polnische Verhältnis nach dem EU-Beitritt Polens, hörten wir einen Vortrag von Pawel Bartnik, dem stellv. Geschäftsführer des Büros der "Euroregion Pomerania" in Stettin. Er zeigte hauptsächlich die zwischenmenschlichen Beziehungen im Grenzbereich und die wirtschaftlich schwache Entwicklung an den Grenzen auf.

Vor dem EU-Beitritt Polens gab es bereits Fördermittel für die Grenzregion. Zu einem Teil sind sie bestimmt für das deutsch-polnische Jugendwerk, das seit elf Jahren abwechselnd einmal in Deutschland und einmal in Polen Jugendfestivals veranstaltet. Gefördert wird eine Berufsschule in Kolberg mit Berufspraktika in Hamburg und Eberswalde im Hotel- und Gastronomiegewerbe .Weitere Projekte sind u.a. Sanierung des Theatergebäudes in Greifswald und alte Herrenhäuser in Deutschland. Nach dem EU-Beitritt Polens wird der Straßenbau in Polen sowie der Bau von Kläranlagen mit Mitteln der EU besonders gefördert.
Unter der Leitung von Dr. Slepowronski fragten wir Studenten der Universität Stettin in einer Gesprächsrunde wie sie mit der deutschen Vergangenheit ihrer Heimat umgehen. So hörten wir von einem der Studenten, dass er vor Jahren mit großer Verwunderung in einem alten Atlas entdeckt hat, dass Stettin einmal deutsch war, wie auch ganz Pommern. Die Großeltern und auch die Eltern haben dieses Thema nicht angesprochen. Unsere Eltern, konnten sie etwas wissen vom Kulturerbe des Feindes? Ihr Interesse kam erst viel später.
Anders als sie haben die jungen Polen heute keine Ängste mehr vor den Deutschen. Im Gegenteil sie interessieren sich für die Geschichte ihrer Heimat und möchten wie diese Studenten eine Brücke bauen zwischen dem alten und neuen Stettin. Sie suchen nach Spuren der deutschen Vergangenheit, so beispielsweise nach alten deutschen Schriften an Häusern, sie suchen im Internet nach Fotos aus der Zeit vor 1945. Eine Studentin berichtete, dass alles Deutsche in ihrer Familie ein Tabuthema war. " Aber wir bewohnten eine Etage eines alten deutschen Hauses, und an der Toilettentür war noch ein Schild in deutscher Sprache angebracht, daran nahm keiner von uns Anstoß". Eine polnische Teilnehmerin berichtete von ihrem Sohn, der Germanistik studieren will und seine Familie aufforderte in seinem Elternhaus nicht mehr negativ über die Deutschen zu sprechen. Zum Schluss dieser Gesprächsrunde baten uns die Stettiner Studenten, im nächsten Jahr unsere Kinder bzw. Enkel mitzubringen, damit die Jugend beider Länder sich ohne Vorurteile näher kommt.
Durch zwei Mitarbeiterinnen des Denkmalsschutzes in Stettin erfuhren wir, dass auf ihrem Zuständigkeitsgebiet dreihundert Objekte gemeldet sind, und zwar überwiegend von den Einwohnern der betreffenden Ortschaften. Es handelt sich dabei um Gedenksteine, Kriegerdenkmäler aus dem 1. Weltkrieg und Lapidarien, die in den meisten Fällen von den ehemaligen Bewohnern restauriert bzw. aufgestellt wurden. Nicht unerwähnt sollte sein, dass längst nicht alle diese Gedenkstätten unter Denkmalsschutz stehen. Es spielt nicht nur der künstlerische Wert der Steine eine Rolle dabei, ein weiteres Kriterium stellen auch die Inschriften dar.
Es gibt umfangreiche Rechtsvorschriften, so muss z.B. der Wortlaut der vorgesehenen Texte auf den Gedenksteinen von diversen polnischen Behörden genehmigt werden.

Über die Hanse in Hinterpommern referierte Dr. Martin Köhler aus Haan.
Er bezog sich in seinem Vortrag auf das Standardwerk zur Hanse von Philippe Dollinger. Außerdem erwähnte er dankbar die Hilfe durch Professor Horst Wernicke von der Uni Greifswald. Die Hansezeit reichte von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Also rund fünfhundert Jahre über das Hoch- und Mittelalter bis in die Neuzeit hinein. Die Hansestädte in Vorpommern waren: Stralsund, Greifswald, Anklam, Demmin und seit 1283 Stettin. Zur mittelpommerschen Gruppe gehörten: Stargard, Gollnow, Gartz, Greifenhagen, Wollin und Cammin.
Dann gab es die Kolberger Gruppe mit Kolberg, Köslin, Treptow, Greifenberg und Belgard und zur Stolper Gruppe gehörten Stolp, Rügenwalde und Schlawe. Insgesamt gab es in Hinterpommern 14 Hansestädte. Die hinterpommerschen Flüsse, wie beispielsweise die Ihna, boten sich für ihre Gründung besonders an, so für Gollnow und Stargard und die Persante für Kolberg und Belgard sowie die Stolpe für Stolp und Stolpmünde. "Die Beschäftigung mit der Hanse führt konsequent zu der Feststellung, dass Pommern als Land der Kultur sehr wohl vorzeigbar war. Das gibt uns Pommern ein gesundes Selbstbewusstsein." Mit dieser Feststellung schloss Dr. Köhler seinen interessanten Vortrag über die Hanse in Pommern.


Tagungsgruppe auf der Hakenterasse in Stettin

An den nächsten beiden Tagen begaben wir uns auf die Suche nach den Spuren der Hanse in Pommern. Zunächst besuchten wir Stettin, und zwar die Ausstellung an der Hakenterrasse, zum Thema der Ansiedlung der polnischen Bevölkerung in Stettin.
Gezeigt wird hier alles von der Ankunft in Treckwagen, über die einfache Einrichtung der Wohnungen bis hin zu Fotos vom zerstörten Stettin und vom beginnenden Wiederaufbau. Den Besuch der Ausstellung kann man als Ergänzung zum Referat von Dr. Jan Machalak über die polnischen Ansiedler in Pommern sehen.
Bei einer Stadtrundfahrt mit Dr. Horst Jeschke erfuhren wir viel Wissenswertes über das alte Stettin, das leider von den polnischen Stadtführern so nicht vermittelt wird.
Beim Deutschen Freundeskreis in der Grünen Schanze wurden wir herzlich begrüßt vom Sedina Chor, unter der Leitung der nach ihrem Unfall wieder hergestellten Brigitte Kipper, mit dem Lied " Auf Wiedersehen in Pommern". Der Bezirksvorsitzende Siegbert Czeluszki freute sich über unser Kommen.
Der Nachmittag bei den Deutschen in Stettin verging so schnell. Bei Kaffee und Kuchen unterhielt man sich lebhaft, es wurde u.a. der Tätigkeitsbericht des letzten Jahres über die Aktivitäten des Bezirkes verlesen. Zum Schluss sangen wir gemeinsam das Pommernlied.
Am nächsten Tag wanderten wir auf den Spuren der Hanse mit Frau Barbara Haverland durch Belgard. Auch hier war es interessant, von der gebürtigen Belgarderin über ihre Heimatstadt zu hören. Leider meinte es das Wetter nicht gut mit uns, so dass wir vorzeitig aus Belgard aufbrechen mussten.
Im "Bersteinpalast" in Streckenthin wurden wir in dem gemütlichen Restaurant des Hotels mit einem guten Mittagessen entschädigt.
Bei sonnigem Wetter konnten wir zum Abschluss der Tagung die Hansestadt Gollnow im Kreis Naugard besuchen. Vorbei am Wolliner Tor und an der Katharinenkirche kamen wir zu den Resten der alten Stadtmauer und zur Ihna, dem Fluss, der Gollnow und Stargard zu Hansestädten machte.

Lassen wir nun die Tagung Revue passieren, beginnend mit unserer gemeinsamen Busreise in die Heimat, die schon immer ein Erlebnis besonderer Art ist, da hier während der langen Fahrt viel Gelegenheit zu Gesprächen gegeben ist. Neben dem sehr informativen und diskussionsreichen Seminartag mit Simultanübersetzung, den Begegnungen mit Land und Leuten in Stettin und Belgard, kam die abendliche Geselligkeit nicht zu kurz. Bei einem Glas Bier oder Wein konnte man sich noch einmal an die Ereignisse des Tages erinnern.
Für die Rückfahrt hatten wir uns die "Manöverkritik" vorgenommen. Und es kam hier über Bordmikrofon zu lebhaften Diskussionen, wobei einige Aussagen von Professor Stepinski besonders starker Kritik ausgesetzt waren.
Wir waren uns einig, dass unsere Bemühungen um Verständigung mit der polnischen Bevölkerung nach wie vor nicht leicht ist. Wir werden weiter daran arbeiten, vielleicht auch der Einladung der Stettiner Studenten folgend, zusammen mit unseren Kindern und Enkeln !